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ALBA SE: (K)ein deutsches Net-Net?

Deutsche Delisting-Werte sind für mich eine interessante Fundgrube. Börsengeflüster bietet eine hilfreiche Übersicht zu den Delistings seit 2014. Hierdurch bin ich auf die ALBA SE gestoßen, welche Ende 2024 ein Delisting durchgeführt hat. Über die Börse Hamburg ist die Aktie weiterhin handelbar.

Nach kurzer Recherche sah dieser Wert für mich sehr interessant aus, bei näherer Betrachtung hat sich das Bild jedoch erheblich eingetrübt. Dieser Post gibt einen Überblick über meine Gedanken zur Situation um die ALBA SE.

Die ALBA SE ist ein Recyclingunternehmen, größtenteils für Stahlschrott, mit Fokus auf Deutschland und Europa. Es ist Teil des familiengeführten ALBA Konzerns, welcher europaweit im Bereich Recycling tätig ist. Das operative Geschäft war die letzten Jahre wenig erfolgreich, das Konzernergebnis schwankte um einen Wert von Null. Im Jahr 2023 wollte sich der Hauptaktionär kurzzeitig von seinen Aktien trennen, diese Idee wurde nach einigem Monaten gestoppt und nicht weiter verfolgt.

Mit aktuell ca. 70 Mio. EUR Marktkapitalisierung und einem Ankeraktionär, welcher bereits vor dem Delisting ca. 93% aller Aktien besaß, handelt es sich um ein sehr kleines Unternehmen und ein illiquide Aktie.

Die Marktkapitalisierung war jedoch nicht immer so niedrig. Bis in das Jahr 2021 lag diese bei deutlich über 500 Mio. EUR., bis sie anschließend stark zurückging. Grund für die höhere Marktkapitalisierung war ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag (BGAV), mit einer jährlichen Ausgleichszahlung von 4,17 EUR für außenstehenden Aktionäre.

Der BGAV wurde durch den Ankeraktionär, die ALBA plc & Co. KG, per Ende 2021 gekündigt, wodurch die Ausgleichszahlung entfiel.

Seitdem ist der Aktienkurs kontinuierlich gefallen. Anfang 2021 lag der Kurs bei knapp über 70 EUR, Anfang Mai 2025 waren es nur noch 7 EUR. Die Aktienanzahl liegt seit vielen Jahren konstant bei 9,84 Mio. Stück, so dass auch die Marktkapitalisierung eherblich gesunken ist.

Und genau dieser starke Kursverfall machte die ALBA für mich zuerst interessant.

Für eine Erläuterung ist ein Blick auf die Bilanz des ALBA SE Konzerns notwendig. Dieser ist nicht zu verwechseln mit dem ALBA Konzern, welcher neben der ALBA SE und ihrer Tochtergesellschaften noch weitere Unternehmen umfasst. Daher zuerst eine Darstellung der ALBA Gruppe und ihrer Unternehmen.

Die (ehemals) börsennotierte ALBA SE bildet mit ihrern Tochtergesellschaften den ALBA SE Konzern. Die ALBA SE gehört zu knapp über 95% der ALBA plc & Co. KG, welche die Muttergesellschaft für den ALBA Konzern darstellt.

Der Konzernabschluss der ALBA SE besteht auf der Passivseite neben einer geringen Summe von Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen und Leasingverbindlichkeiten größtenteils aus Eigenkapital. Dieses lag Ende Juni 2024 (der aktuellste Stichtag für den Zahlen vorliegen) bei einer Bilanzsumme von 204 Mio. EUR bei ca. 136 Mio. EUR und damit deutlich über der aktuellen Marktkapitalisierung.

Auf der Aktivseite bilden vor Sachanlagen (41 Mio. EUR), Vorräte (22 Mio. EUR) und Forderungen aus Lieferungen und Leistungen (18 Mio. EUR) die finanziellen Vermögenswerte mit 97 Mio. EUR den mit Abstand größten Posten. Die finanziellen Vermögenswerte bestehen größtenteils aus Forderungen aus einem Cashpooling mit der ALBA plc & Co. KG in Höhe von 93 Mio. EUR.

Cashpooling ist eine in Konzernen häufig verwendete Methode, bei denen in verschiedenen Tochterunternehmen vorhandene Kassenbestände zentral von einem Unternehmen (häufig der Konzernmutter) aus gesteuert werden.

Für die ALBA SE zählen diese Forderungen zu den vorhandenen Finanzmittelfonds, sie sind also ähnlich wie Zahlungsmittel und -äquivalenten anzusehen.

Da der ALBA SE Konzern (fast) keine Finanzverbindlichkeiten ausweist, ergibt sich hieraus das Bild, dass die Marktkapitalisierung der ALBA SE unter dem zuletzt berichteten Finanzmittelfonds liegt.

Die folgend Grafik zeigt, dass die Marktkapitalisierung seit Mitte 2024 unter dem Wert des Finanzmittelfonds liegt. Knapp drei Monate, nachdem dieses Phänomen zuerst auftrat wurde das Delisting verkündet.

Aktuellste Cashpoolingzahlen per 30. Juni 2024, anschließend Fortschreibung dieser Zahl per gestrichelter Linie.

Eine Marktkapitalisierung unter den vorhanden Finanzmitteln (quasi ein Net-Net) verbunden mit einem Delisting sah für mich nach einer sehr interessanten Situation aus.

Doch bei Betrachtung der Grafik fiel mir eines auf: Die Forderungen aus dem Cashpooling liegen bereits seit vielen Jahren konstant vor.

Ich hätte erwartet, dass diese Werte über die Jahre schwanken und auch negative Werte vorkommen könnten (die ALBA SE besorgt sich Finanzmittel vom Mutterkonzern). Dies war für mich kein Ausschlusskriterium.

Für mich sieht es so aus, dass die ALBA SE den Mutterkonzern über einen längeren Zeitraum günstig finanziert. Günstig, da die Forderungen mit ESTR (einem kurzfristigen Geldmarktzins) abzüglich einer Marge verzinst werden. Für die Minderheitsaktionäre der ALBA SE ärgerlich, aber weiterhin kein Ausschlusskriterium.

ALBA SE Konzernabschluss per 31. Dezember 2023, Anhang Punkt 38: Angaben zu nahestehenden Unternehmen und Personen.

Meine Schlussfolgerung war, dass die ALBA plc & Co. KG als Schuldner das per Cashpooling gesammelte Geld zum ESTR anlegt und hierdurch eine kleine, aber sichere, Marge verdient.

Um dies zu überprüfen habe ich die Konzernabschlüsse der ALBA plc & Co. KG (früher hieß das Unternehmen noch ALBA Group plc & Co. KG) im Bundesanzeiger herausgesucht.

Der zuletzt veröffentlichte Konzernabschluss per 31. Dezember 2023 zeigt hierbei einen entscheidenden Aspekt: Der im ALBA Konzern vorhandene Kassenbestand ist deutlich geringer als die Cashpoolforderung der ALBA SE.

In Form von Tages- oder Termingeld liegt ebenfalls keine Position in passender Höhe vor, die größte Position des Umlaufvermögen sind Forderungen aus Lieferung und Leistung. Sonstige Vermögensgegenstände (29.9 Mio. EUR) sind Steuererstattungsansprüche (10,7 Mio. EUR), Darlehensforderungen (6 Mio. EUR).

Hatte ich zuerst vermutet, dass die ALBA plc & Co. KG einfach die Zinsdifferenz aus dem Cashpooling vereinnahmt ergibt sich hieraus für mich, dass das Geld der ALBA SE für Investitionen im ALBA Konzern verwendet wurden. Als liquides Vermögen in Form von Bankguthaben liegt es jedenfalls nur teilweise vor.

Daraufhin habe ich weitere Jahresabschlüsse des ALBA Konzerns abgefragt. Diese zeigen, dass auch in den vorangegangenen Jahren die Caspoolforderungen des ALBA SE Konzerns nur zu geringen Teilen noch als Barmittel im ALBA Konzern vorlagen. Die folgende Tabelle zeigt die Entwicklung seit 2018, Zahlen jeweils per Jahresende.

(in Mio. EUR) Cashpoolforderung des ALBA SE Konzern Bankguthaben des ALBA Konzerns
2018 90 28.41
2019 103 21.41
2020 98 25.07
2021 116 18.37
2022 107 20.14
2023 104 22.83

Ein wichtiger Teils des Jahresabschluss sind die Ausführungen des Wirtschaftsprüfers, welche zumeist am Ende des Berichts stehen. Viele Bestandteile sind in Berichten identisch, jedoch ist in einigen Berichten auch ein Abschnitt zu “Besonders wichtigen Prüfungssachverhalten” (Key Audit Matters) enthalten. Im Fall der ALBA SE behandelt dieser Abschnitt die “Bewertung der Forderungen gegen die ALBA plc & Co. KG” und steht auf S. 146.

Ich empfehle, diesen Text Wort für Wort zu lesen. Manchmal ist wichtiger, was die Abschlussprüfer nicht schreiben, als das, was sie schreiben.

Sollte das Bild nicht oder nur schlecht lesbar sein, findet sich hier der Link zum Text im Konzernabschluss der ALBA SE per Ende 2023 (Seite 146).

Hier die für mich wichtigsten Teile als Zitat mit kurzem Kommentar:

Die nicht besicherten Forderungen werden von dem geschäftsführenden Direktor der ALBA SE als werthaltig beurteilt und daher zum Nennwert bilanziert.

Die Einschätzung des geschäftsführenden Direktors der ALBA SE in Bezug auf die Werthaltigkeit der Forderungen ist aufgrund der damit verbundenen Ermessensspielräume und Schätzunsicherheiten mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Vor diesem Hintergrund sowie aufgrund der Wesentlichkeit der Forderungen und der Bedeutung der Werthaltigkeit dieser Forderungen für die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der ALBA SE-Gruppe war dieser Sachverhalt im Rahmen unserer Prüfung von besonderer Bedeutung.

Bei der Prüfung der Bewertung der Forderungen haben wir weiterhin anhand der uns zur Verfügung gestellten Finanzinformationen der Muttergesellschaft zum 31. Dezember 2023 eine Analyse der Vermögens-,Finanz- und Ertragslage dieser Gesellschaft vorgenommen. Die in dem Jahresabschluss ausgewiesenen liquiden Mittel haben wir mit Bankbestätigungen der Kreditinstitute, mit denen diese Gesellschaft in Geschäftsbeziehungen steht, abgeglichen und uns anhand der Bankbestätigungen einen Überblick über zum 31. Dezember 2023 bestehende weitere unwiderrufliche Zusagen an Finanzmitteln verschafft.

Weiterhin haben wir uns davon überzeugt, dass die uns von der Muttergesellschaft zur Verfügung gestellte Unternehmensplanung mit einem Fünf-Jahres-Horizont (nachfolgend auch: Fünf-Jahres-Planung) die Beurteilung stützt, dass die Muttergesellschaft in der Lage ist, zukünftig hinreichende Überschüsse an liquiden Mitteln zu erwirtschaften, um die Forderungen zu bedienen.

Für mich wird hier indirekt darauf hingewiesen, dass die Cashpoolforderungen nicht in Form von Bankguthaben vorliegen, sondern nur in Form von unwiderruflichen Kreditzusagen. Die Fünf-Jahres-Planung des ALBA Konzerns sieht vor, die Forderungen zu verdienen und sie so zu reduzieren, aber ob das gelingen wird kann nur die Zukunft zeigen. Abschließend sei jedoch darauf hingewiesen, dass die Abschlussprüfer jedoch in Summe keine Einwände gegen die vorgenommene Bilanzierung haben:

Aus den von uns durchgeführten Prüfungshandlungen haben sich hinsichtlich der Bewertung der Forderungen gegen die ALBA Europe Holding plc & Co. KG keine Einwendungen ergeben.

Zusammenfassend ist es ein spannender Case, zeigt jedoch wieder einmal, wie wichtig gründliche Recherche ist.