Enercity: Hintergrund
Heute geht es um eine vom Aussterben bedrohte Wertpapierart: Genussscheine. Genauer um die Genussscheine der enercity AG, den ehemaligen Stadtwerken Hannover (DE0007255358). Sie wurden 1990 emittiert und beteiligen seitdem die Genussscheininhaber an den Erträgen der Stadtwerke (im Folgenden verwende ich enercity und Stadtwerke Hannover synonym).
Die enercity beschreibt sich selbst als „bundesweiter Anbieter von nachhaltigen und intelligenten Energielösungen”. In der Region Hannover ist das Unternehmen zudem der Grundversorger für Strom und Gas. 2022 wurden bei ca. 8 Mrd. Euro Umsatz ein EBIT von 218 Mio. Euro erzielt. Vor den weiteren finanziellen Details möchte ich kurz die Struktur der Stadtwerke und der Genussscheine darstellen.
Hinweis: Die Genussscheine der enercity AG sind extrem illiquide. Die allermeisten Tage finden an den meisten Börsen überhaupt keine Umsätze statt. Daher ist eine hohe Vorsicht angebracht.
Eigentümerstruktur
Knapp 75% der Aktien liegen im Eigentum der Stadt Hannover. Die verbleibenden Aktien sind, bis auf einen minimalen Anteil der Region Hannover, im Besitz der Thüga AG, einem Zusammenschluss kommunaler Wasser- und Energieversorger.
Die Stadt Hannover hält die Anteile an enercity dabei nicht direkt, sondern über die Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft Hannover mbH (VVG), einer Holding, mit welcher enercity einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag abgeschlossen hat.
Diese Holding bildet einen steuerlichen Querverbund (dazu später mehr) mit anderen für den Raum Hannover wichtigen Unternehmen, unter anderem dem ÖPVN-Betreiber der Region Hannover ÜSTRA. Die ÜSTRA (börsennotiert mit dem kleinsten mir bekannten Free-Float einer deutschen AG) ist dabei chronisch defizitär was durch den Querverbund dazu führt, dass die Gewinne der Stadtwerke auf VVG-Konzernebene mit den Verlusten der ÜSTRA verrechnet werden können und damit die Körperschaftssteuerlast der VVG reduzieren.
Die Thüga AG hält deutschlandweit Anteile an Stadtwerken, beispielsweise in Essen und Rostock. Bemerkenswert an der Beteiligung an den Stadtwerken Hannover ist, dass diese selbst einen Anteil von ca. 20% der Thüga besitzen und enercity sich damit teilweise selbst besitzt. Dieser „Zirkelbezug“ in der Eigentümerstruktur ist mir bisher nur im französischen Bolloré Konglomerat und bei Eurokai bekannt und in der folgenden Grafik kurz dargestellt.
Struktur der Genussscheine
Die Genussscheine besitzen aus meiner Sicht eine ziemlich einzigartige Struktur. Die Ausschüttung ist nicht wie bei einigen anderen Genussscheinen fix, sondern hängt von der Höhe des abgeführten Gewinns der Stadtwerke ab. Aus dem abgeführten Gewinn leitet sich anhand der folgenden Formel die Höhe der Ausschüttung der Genussscheine ab.
Durch den seit Emission stark angestiegenem Gewinn der Stadtwerke, aber einer seit über 30 Jahren unveränderten Formel zur Bestimmung der Ausschüttung, handeln die Genussscheine seit vielen Jahren deutlich über ihrem Nennwert. Die Ausschüttung, welche in der Regel gegen Ende März des Folgejahres stattfindet, lag für das Jahr 2022 bei 72,4% des Nennwertes.
Der Gesamtnennbetrag des Genussscheinkapital liegt bei 5,1 Mio. EUR (ehemals 10 Mio. D-Mark), wobei Stand Ende 2022 39,4% der ausstehenden Genussscheine im Eigenbesitz der Stadtwerke liegen.
Der nach HGB aufgestellte Jahresabschluss zeigt, dass Sie mit einem Anteil von ca. 0,8% des Eigenkapitals nur eine untergeordnete Bedeutung für die Eigenkapitalbasis der Stadtwerke haben.
Laufzeitbeschränkungen und (einfache) Kündigungsmöglichkeiten durch die Stadtwerke bestehen nicht. Einzig die Auflösung der Stadtwerke oder ein Wegfall des steuerlichen Querverbundes ermöglicht der enercity gemäß § 7 Abs. (2) ein Kündigungsrecht.
Die gesamten Genussscheinbedingungen sind auf der Investor Relations Seite von enercity abrufbar.
Steuerlicher Querverbund
Eine der Besonderheiten bei öffentlichen Unternehmen ist der steuerliche Querverbund.
Hierbei handelt es sich um eine Konstruktion, bei der ein öffentliches Unternehmen mit stetigen Verluste erzielt (häufig handelt es sich um öffentliche Bäder) mit einem anderen öffentlichen Unternehmen mit stetigen Gewinnen (häufig Stadtwerke) zu einem Querverbund zusammengefasst werden. Die Saldierung von Verlusten des einen Unternehmens mit Gewinnen des Anderen reduziert die Steuerbelastung. Dabei müssen allerdings einige Bedingungen erfüllt werden, welche in § 4 Abs. 6 des KStG beschrieben sind.
Die folgenden Artikel geben einen guten Überblick über die Bedeutung und den aktuellen Diskussionsstand zu steuerlichen Querverbünden:
- https://www.roedl.de/de-de/de/medien/publikationen/fachaufsaetze/energiewirtschaft/documents/vw_3_2020_reinke_maul.pdf
- https://www.ey.com/de_de/newsboard-energiewirtschaft-politik-oeffentlicher-sektor/steuerlicher-querverbund-vorstoss-von-vku-und-kommunalen-spitzenverbaenden
Der steuerliche Querverbund ist sorgt immer wieder für Diskussionen zwischen den öffentlichen Eigentümern und dem lokalen Finanzamt, wobei die Fälle auch öfters vor Gericht landen. Vor einigen Jahren gab es konkrete Befürchtungen, dass der Europöische Gerichtshof (EUGH) steuerlichen Querverbünden als unzulässige Beihilfe einstuft und dem Konstrukt einen Riegel vorschiebt. Ein Klage vor dem EUGH wurde jedoch Anfang 2020 zurückgezogen, so dass hier noch keine endgültige Entscheidung feststeht.
Der Klagerückzug wurde von betroffenen Stellen erst einmal positiv aufgenommen und Interessensvertreter von Städten und Gemeinden setzen sich stetig für den Erhalt von Querverbünden ein.
Der Querverbund der Stadtwerke Hannover mit der Üstra und Infrastrukturbetreiber infra unterscheidet sich etwas von anderen Querverbünden, da es sich bei den Unternehmen mit dauerhaften Verlusten um ÖPVN-Anbieter handelt und nicht, wie häufig, um öffentliche Badebetriebe.
Zudem hat die Eigentümerstruktur mit Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag einen Einfluss auf die Ausgestaltung des steuerlichen Querverbundes, da die außenstehenden Aktionäre eine jährliche Ausgleichszahlung erhalten.
Ausblick
Im nächsten Artikel zu enercity soll es um die finanzielle Situtation des Unternehment, einen Vergleich mit anderen Stadtwerken und die Bewertung der Genussscheine gehen.